Die dunkle Seite der digitalen Transformation


Claudia Hesse hält am swissICT Symposium am 25. September ein Referat im Stream «Mensch» zum Thema «R.I.P. Work-Life Balance ... und was wirklich funktioniert»

Wir sind mitten drin in der «digitalen Transformation». Unsere Welt hat sich noch nie so schnell verändert wie heute. Utopie oder Resignation, Menschheitsversprechen oder Menschheitsversagen – alles ist möglich. Wie also gehen wir mit der dunklen Seite der Digitalisierung um?


Autorin: Claudia Hesse, Gründerin The Better Workplace

Für mich ist die digitale Transformation (meist benutzt im Business-Umfeld) viel mehr als nur Transformation – eher eine Revolution. Im IT-Umfeld tendieren wir dazu, unseren Fokus ausschliesslich auf die technische Umsetzung zu legen…und vergessen dabei völlig, dass wir als Menschen im Mittelpunkt stehen.

Seien wir doch mal ehrlich mit uns selber: Viele von uns tun sich schwer mit der permanenten, rasanten Entwicklung und Veränderung mitzuhalten, die sich täglich zu beschleunigen scheint. Unser Leben und unser Job werden quasi jeden Tag auf den Kopf gestellt, was gestern noch utopisch erscheint, ist morgen schon Wirklichkeit und bestimmt unser Leben.

Nehmen wir doch einfach mal das allseits beliebte Smart Phone: Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, wieso die Dinger noch «Telefon» heissen, ist das doch nur noch eine verschwindend kleine Funktion neben all den wunderbaren Dingen, die diese (relativ) kleinen Wunderwerke der Technik leisten können. Die Kamera meines iPhones ist deutlich besser als die letzte «Nur»-Kamera, die ich hatte, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ständige Erreichbarkeit

Information, Unterbrechung, Erreichbarkeit, Daten sind damit permanent (meist rund um die Uhr) mit und bei uns und das Checken des Smartphones kann regelrecht zur Sucht werden. Laut einer Studie von 2016 schauen wir im Durchschnitt 88 mal am Tag auf unser Telefon und Anfang 2018 berichtete das AndroidMag, dass wir im Schnitt 3.25 Stunden am Tag an dem Gerät verbringen.

Und wenn wir jetzt mal uns hier in der IT-Branche betrachten, sind wir sicher an der Spitze, wenn es darum geht, täglich mit der hochdigitalisierten Welt in unmittelbaren Kontakt zu stehen. Sowohl Unternehmen als auch wir Menschen sind damit oft überfordert und werden unter Umständen ins Chaos gestürzt.

Unser Gehirn ist überfordert

Fakt ist, dass unser Gehirn nicht dafür ausgerichtet ist, dauernd und ohne Unterbrechung diese Massen an Information aufzunehmen und zu verarbeiten. Das ist nicht nur anstrengend, sondern auch unmöglich. Ausserdem haben viele von uns nicht gelernt, mit ständiger Veränderung (neudeutsch Change) konstruktiv und kreativ umzugehen.

Als Menschen streben wir nach Stabilität und Sicherheit – ständige Veränderungen tragen daher eher nicht dazu bei, uns gut zu fühlen, sondern lassen uns eher verwirrt, überfordert oder sogar mit Angst zurück. Im schlimmsten Fall checken wir einfach aus…und resignieren.

Wir «werden gelebt»

Das andere Risiko: wir werden gelebt, statt selber zu gestalten, wie wir unser Leben und unsere Arbeit gestalten. Die wahnsinnige Geschwindigkeit und der Druck, ständig effizienter zu werden und Anforderungen von aussen zu genügen, schubsen uns quasi mit hohem Tempo voran. Ziemlich unangenehmer Gedanke – wann allerdings haben Sie sich das letzte Mal die Frage gestellt wie Sie eigentlich leben wollen?

Laut einer DAK (Krankenkasse) Studie in Deutschland hat sich die Zahl der Fehltage wegen der Psyche in 20 Jahren mehr als verdreifacht. Die meisten Fehltage entfielen auf Depressionen, gefolgt von Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Die Situation in der Schweiz sieht sicher nicht drastisch anders aus.

Nicht nur der Arbeitsplatz

Digitalisierung – und damit unter Umständen Überforderung, finden wir nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in allen Bereichen unseres Lebens. Mit der Folge, dass uns oft Auszeiten und Räume fehlen, um uns wieder Energie tanken lassen – physisch und psychisch.

Wir sind nicht alogorithmierbar

Wir alle sehnen uns nach guten und verlässlichen sozialen Beziehungen zu anderen Menschen, Selbstbestimmung, Vertrauen, Anerkennung und …..Liebe. Und final danach, unseren Beitrag zu leisten in dieser Welt, quasi etwas zu hinterlassen. Sollten wir uns den Zeiten dramatischer Veränderungen nicht eher an den wahren Bedürfnisse der Menschen orientieren, statt die Menschen der Technik «anzupassen»? Final ist die Technik – die Digitalisierung ja für uns Menschen gemacht – damit unser Leben lebenswerter wird. Wir sind nicht algorithmierbar, nur die Maschinen.

In der neuen Ära der Digitalisierung und digitalen Transformation wird es Zeit, dass wir uns wieder dem wichtigsten Faktor zuwenden: dem Menschen. Denn mit uns steht und wird diese Transformation erfolgreich….oder sie fällt.
 

Publiziert am 19. September 2018