«Da kommt jemand und schnappt einfach dein Geschäft weg»


Mischa Ramseyer hält am swissICT Symposium am 14. November ein Referat im Stream «Effizienz in Business und Prozessen» zum Thema «Organisation für digitale Revolution».

Mischa Ramseyer ist in der swissICT Fachgruppe Lean, Agile & Scrum engagiert und seit fast einem Jahrzehnt mit Begeisterung im Thema Agilität unterwegs. Am swissICT Symposium spricht Mischa darüber, wie sich Organisationen aufstellen sollten, damit sie die digitale Revolution erfolgreich meistern können.


Interview: Simon Zaugg

Wie bist du eigentlich auf das Thema Agilität gekommen?

Das war vor rund zehn Jahren. Ich war nicht glücklich mit meiner Rolle. Als Projektleiter war ich der Chef. Ich hatte die Verantwortung, war aber nie wirklich Teil des Teams. Kam das Projekt gut, wurde ich von meinen Chefs gelobt, scheiterte es, bekam ich aufs Dach. Das war für mich auf Dauer keine Perspektive mehr. Ein Vortrag von Peter Stevens – seines Zeichens Mitgründer des Agile Breakfast in Zürich, welches noch heute monatlich durchgeführt wird – über Scrum hat mich inspiriert. In einem Team auf Augenhöhe in kleinen definierten Schritten auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, erschien mir eine reizvolle Alternative zum klassischen Vorgehen in Projekten. Seither brenne ich voll und ganz für die «Agilität» und bin mit vollem Engagement mit diesem Thema unterwegs.

Du bist heute für die SBB tätig. Wie kam es zu diesem Engagement?

Bei der SBB Informatik begann man im Jahr 2008 agil zu arbeiten. Die Erfolge, welche die agilen Methoden vorweisen konnten, hatten Strahlkraft. Nach und nach wurden weitere Vorhaben mit agilen Methoden umgesetzt. Der «Druck von unten», die «Agilität» im Unternehmen auszuweiten, nahm dann laufend zu. 2015 wurde schliesslich ein offizielles Transformationsprogramm gestartet, welches sich zum Ziel gesetzt hatte, die agilen Prinzipien auf die gesamte Produktentwicklung anzuwenden und die nötige Kultur dafür zu schaffen. In diesem Transformationsprogramm besetze ich seit rund zweieinhalb Jahren die Rolle des Agile Coach. Ich bringe meine Expertise in der Agilität und meine Erfahrungen im Change Management aktiv ein und gestalte mit. Aktuell versuchen wir rund 3000 Menschen auf diesen «gelebten Kulturwandel» mitzunehmen.

Was bringt Agilität denn konkret?

Ich illustriere das am liebsten mit einem Beispiel. Loanboox hat sich zum Ziel gesetzt, die Vergabe von Krediten für öffentlich-rechtliche Kreditnehmer durch institutionelle Kapitalgeber zu revolutionieren. Das Unternehmen verspricht den Kreditnehmern, zehnmal schneller mit 10 Prozent der bisherigen Kosten zu ihrer Finanzierung zu kommen. Das bedeutet eine Einsparung von 90 Prozent in Zeit und Kosten. Den Kapitalgebern wiederum bietet die Plattform einen kostenlosen Zugang zu Kreditnehmern in der Schweiz und eine unabhängige Einschätzung der jeweiligen Sicherheiten. Innerhalb von vier Monaten nach der offiziellen Lancierung von Loanboox ist das Volumen der über die Plattform angefragten Finanzierungen auf 1 Milliarde Franken gewachsen, nach einem Jahr bereits auf 4 Milliarden. Da kommt also jemand und schnappt sich einfach dein Geschäft weg, sagen sich wohl die angestammten Kreditbroker. Auf der anderen Seite sind da die grossen Unternehmen, welche heute den Markt vermeintlich beherrschen. Im Idealfall brauchen diese Unternehmen zwei Jahre, bis ein neues Produkt oder Angebot auf dem Markt eingeführt werden kann. Zwei Jahre, in welchen viel passiert und sich der Markt laufend verändert. Ist ein Unternehmen agil aufgestellt, kann es solche Entwicklungen viel schneller kontern. Oder noch besser: Ist selbst innovativ, bringt schnell neue und markttaugliche Produkte heraus und ist so überlebensfähig. Der SBB ist es unter der Anwendung der agilen Prinzipien gelungen, ein neues Angebot zur Elektromobilität in vier Monaten erfolgreich auf dem Markt einzuführen.

Wie steht denn die Schweiz heute im internationalen Vergleich im Thema Agilität da?

Die Schweiz gehört sicher zu jenen Ländern, die vorne mitspielen. Ich führe das zurück auf unsere direkte Demokratie, den Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip. Und die Schweiz hat die Agilität auch nötig. Wir definieren uns über Qualität und Innovation. Da bietet die Agilität sehr viele Möglichkeiten. Eine formelle Struktur und Hierarchie wird es in Organisationen immer geben. Aber das Führungsverständnis wird sich stark verändern und die meisten Entscheidungen werden sehr nahe am Kunden, nicht in der Konzernzentrale getroffen.